„Aus Raider wird Twix, sonst ändert sich Nix“ — auf
Grundsicherungsniveau
— ein Statement der Arbeitslosen AG der FAU Heidelberg
Zugegeben. Die Referenz im Titel auf das berühmtberüchtigte 90er Jahre Schokoriegel-Rebranding, ist sicher
keine kreative Glanzleistung, aber eine Steilvorlage seitens der Ampel-Koalitionäre, die an dieser Stelle
verwandelt werden musste. HartzIV soll jetzt bald Bürgergeld heißen, was allein deswegen schon daneben ist,
weil HartzIV ja offiziell gar nicht HartzIV heißt, sondern Arbeitslosengeld II, kurz ALG II, oder auf bestem
Amtsdeutsch „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Sozialgesetzbuch II“. Will
heißen, die
Neubenennungsakrobatik der Alsbald-Koalitionäre, ähnelt dem Versuch Kuhdungschwaden euphemistisch in
„Landluft“ umzutaufen, während alle betroffenen Nasen trotzdem nicht umhin kommen werden an
Scheiße denken
zu müssen. Und dass sich abgesehen vom Namen substanziell wohl nichts Gravierendes ändern wird, tritt aus
dem neuen Koalitionsvertrag leider deutlich zutage. Der Fokus liegt immer noch auf der Aktivierung für den
Arbeitsmarkt, an Mitwirkungspflichten und folglich Sanktionen wird weiterhin festgehalten, auch wenn diese
bis zur geplanten Neuregelung des Gesetzes für ein Jahr ausgesetzt werden sollen. Das geplante Moratorium
dürfte jedoch mehr dem Umstand geschuldet sein, dass die Vorgängerregierung nach dem
Verfassungsgerichtsurteil von 2019 eine gesetzliche Neuregelung der Sanktionen bislang verschlafen hat,
diese aktuell also rechtlich auf tönernen Füßen stehen. Wer hofft, dass die frischgebackene Ampelkoalition
sich grundsätzlich von der menschenverachtenden Praktik verabschiedet, das ohnehin kleingerechnete
Existenzminimum bei Ungehorsam zu beschneiden, könnte im übernächsten Jahr negativ überrascht werden. Viel
wahrscheinlicher ist, dass der Zwang sich für schlecht bezahlte Jobs unter widrigen Arbeitsbedingungen zu
bewerben, oder an sinnlosen Beschäftigungsmaßnahmen teilzunehmen, fortbestehen bleibt. Nur die Details der
Umsetzung werden sich dem Grundsatzurteil aus Karlsruhe anpassen.
Arbeitslosenerstberatung der FAU Heidelberg
Montag bis Donnerstag: 14 bis 18 Uhr
0157 5120 3544
Auch am zu niedrigen Leistungssatz selbst, der seit Jahren an der Verfassungswidrigkeit entlang schlittert,
wird sich nichts Grundsätzliches ändern. Entgegen den Versprechungen der Grünen, die einer Erhöhung um
mindestens 50,-€ zur Haltelinie machen wollten, kommen nun doch nur die lächerlichen 3,-€, welche die
scheidenden Regierung bereits beschlossen hatte. Damit ist die aktuelle Erhöhung Lichtjahre davon entfernt,
die neusten Preissteigerungen, oder die zusätzliche Belastung durch die notwendige Anschaffung von
Corona-Hygieneartikel ausgleichen zu können. Von der Sicherstellung einer bedarfsgerechten Existenzsicherung,
die eine hinreichende gesellschaftliche Teilhabe der Empfänger*Innen ermöglicht, ganz zu schweigen. Denn um
auszurechnen, dass Mensch mit 449,-€ im Monat dieser Tage nicht weit kommt, bedarf es wahrlich keiner
Raketenwissenschaftler*Innen. Forderungen von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Betroffenen-Organisationen
nach einem Regelsatz von mindestens 600,-€ blieben leider ungehört. Das Einzige worauf sich Empfänger*Innen
zumindest etwas freuen können, ist die geplante Verbesserung für Zuverdienste. Mussten bislang alle Einkommen
über 100,-€ mit den Regelleistungen verrechnet werden, sollen höhere Freibeträge und ihre Individualisierung
innerhalb von Bedarfsgemeinschaften künftig einen Zuverdienst, und somit die Annahme eines (Neben-)Jobs
attraktiver machen. Doch auch wenn die geplante Erweiterung von Verdienstmöglichkeiten die akute Situation
vieler Arbeitsloser verbessern könnte, bleibt die besorgniserregende Kehrseite einer breit angelegten
Quasisubvention für niedrigentlohnte Jobs und irreguläre Beschäftigungsverhältnisse. Diese wird den seit der
Einführung der Hartz-Reformen stetig wachsenden Anteil jener Beschäftigungen im Arbeitsmarkt zementieren, die
für sich genommen keine Existenzsicherung gewährleisten können. Anders ausgedrückt, die Jobs, von denen man
nicht leben kann, werden für immer mehr Menschen zur Regel, als dass sie die Ausnahme bilden würden. Ob es das
ist, was Olaf Scholz und die SPD mit dem „Respekt“ gemeint haben, den die Menschen
„verdienen“ würden?
Ein Rätsel bleibt auch, woher die gut zwei Millionen zusätzlichen Arbeitsplätze herkommen sollen, die es
eigentlich bräuchte, um allen Arbeitslosen überhaupt ein Jobangebot machen zu können. Das sollte doch die
Voraussetzung sein, könnte man meinen, um die Gängelung, die sich hinter den Begriffen
„Aktivierung“,
„Mitwirkungspflicht“ und „Sanktionen“ oft verbirgt, überhaupt zu rechtfertigen. Oder
umgekehrt gefragt, wie
bitte sollen gut 3 Millionen Arbeitslose erfolgreich in knapp 1 Millionen offene Stellen hineingedrängt
werden? Dieser Punkt bleibt selbstverständlich offen, so wie auch viele Details, anhand derer sich erst
ablesen ließe, ob die Einführung des sogenannten Bürgergeldes, überhaupt eine Verbesserung für die Betroffenen
bereithält, wie zum Beispiel im Falle der angekündigten Kindergrundsicherung. Denn wenn deren Leistungssatz
nicht merklich höher als das bisherige Kindergeld und der bisherige Grundsicherungssatz liegen sollten, ist
nur schwerlich zu erkennen, wie die Situation von Armut betroffenen Kindern durch die Zusammenlegung der
Kinderbezogenen Leistungen verbessert würde. Über Zahlen schweigt jedoch der Koalitionsvertrag bislang. Und
von Absichtserklärungen allein, lässt sich bekanntermaßen schwer leben.
Das Fazit fällt entsprechend ernüchternd aus. Die einzig vernünftige Reaktion auf diese „Reform“
lautet wie
auch schon bei ihrer Vorgängerin HartzIV: Widerstand und Solidarität mit allen Betroffen! Gegen
Leistungszwang, entfremdete Arbeit und Entsolidarisierung! Für wahre Berufsfreiheit, eine tatsächlich
unantastbare Würde aller Menschen und das gute Leben für Alle!
Arbeitslosenerstberatung der FAU Heidelberg
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