Stell dir vor, du hast deinen Job verloren, dein Einkommen. Leider hast du im letzten Jahr mehrfach den Job wechseln müssen, so dass du kein Arbeitslosengeld I beantragen kannst… jetzt hast du ein paar Stunden Zeit, in denen die Kinder in der Schule sind und du denkst du tust das Richtige, indem du dich beim Jobcenter meldest, und Arbeitslosengeld II (Hartz IV) beantragst…
Nun, damit dort das bestmögliche Ergebnis für dich rauskommt, solltest du dich kurz mit der Eingliederungsvereinbarung (EGV) beschäftigen – den Wisch, den dich das Amt garantiert unterschreiben lassen möchte. Den das Gegenteil von ‘gut gemacht’ ist leider auch hier häufig ‘gut gemeint’.
Verabschiede dich von der Vorstellung, dass es dem Jobcenter darum geht einen passenden Job für dich zu finden. Vielleicht hast du ja Informatik studiert und bekommst vom Amt auch noch die passende 6000€-Schulung in der neusten Programmiersprache. Dann hast du Glück. Wenn du aber ohnehin in prekären Arbeitsverhältnissen arbeitest, in Teilzeit, auf Minijobbasis oder auf 451€-Basis, dann wirst du mit ziemlicher Sicherheit ein Opfer der Quote werden. Sprich: dem*der Sachbearbeitermensch auf der anderen Seite des Schreibtisches geht es vor allem darum SEINE*IHRE Vermittlungsquote zu erfüllen. Denn dies legitimiert seine*ihre Existenz, den Lohn, und nur die Erfüllung der Quote führt zu einem angenehmen Arbeitsplatz für den Sachbearbeitermensch. Deine Bedürfnisse sind zweitrangig.
Dies ist gängige Praxis. Zwar mag es auch Sachbearbeiter*innen geben, die ihren Job als Dienstleistung für Arbeitslose verstehen (so munkelt man zumindest) aber bereite dich darauf vor, dass es bei dir anders laufen wird/könnte.
Damit das Jobcenter mit dir schalten und walten kann, wie es möchte, wird es dir sehr früh, häufig schon beim ersten Treffen, die sogenannte Eingliederungsvereinbarung (EGV) vorlegen und unterzeichnen lassen und dabei den Eindruck vermitteln, als wäre dies ein gängiges, übliches und vorausgesetztes Verfahren. IST ES ABER NICHT!
Die EGV ist ein Vertrag den du mit dem Jobcenter schließt und sobald du sie unterzeichnest gilt die Vereinbarung für 6 Monate und ist nur sehr schwer anzufechten!
Die EGV regelt die Bedingungen und Leistungen, die du dem Jobcenter gegenüber erbringen musst um die finanziellen Bezüge vom Center zu bekommen, sprich: Was du für ihr Geld tun musst, dass du jahrelang mit deinen Steuern bezahlt hast.
Üblicherweise ist das beispielsweise die Anzahl der Bewerbungen die pro Monat geschrieben wird. Häufig wird hier ein Standartwert von 30 Bewerbungen eingesetzt. Man muss sich bewusst machen, dass dies eine Bewerbung pro Tag bedeutet! Dies ist nur durch ‘CopyPasteBewerbungen’ zu bewerkstelligen und das völlige herunterfahren der Suche. Quantität statt Qualität. Wer braucht schon Qualität im Leben? Vielleicht willst du auch nicht in einer fremden Branche als bisher arbeiten? Nicht in Zeitarbeit oder Saisonarbeit? Keine Praktika oder sinnlose Kurse machen? Die EGV ist die Chance des Jobcenters all deine Wünsche zu ignorieren, in dem sie dich dazu bringen einen standardisierten, unpassenden Vertrag zu unterschreiben – häufig in dem einfach suggeriert wird, dass Geld erst fließt, wenn du unterschreibst. Das ist falsch! Deswegen wird es auch nie konkret so ausgesprochen (zumindest nicht vor Zeugen) sondern stets nur suggeriert! All dies wirst du nicht im Jobcenter selbst erfahren, sondern erst wenn es zu spät ist und du dich darüber informierst, was du da eigentlich gerade unterschrieben hast. Dabei ist die persönliche Beratung von Seiten des Centers her sogar eigentlich zwingende Voraussetzung für die Gültigkeit der EGV, was aber in gängiger Praxis ignoriert wird.
Doch Fakt zur EGV bleibt:
Die EGV ist ein Vertrag, du bist nicht verpflichtet den Vertrag zu unterschreiben, schon gar nicht unmittelbar und vor Ort!
Ebenso wie das Jobcenter kannst auch du den Inhalt des Vertrages beeinflussen und verändern! Auch wenn das Jobcenter so tut, als wäre die Version die einzige Mögliche: Nein! Alles darin kann abgeändert werden, bis beide Seiten unterschrieben haben!
Eine nicht unterzeichnete EGV ist kein Grund keinen Hartz IV-Satz auszuzahlen, auch wenn das häufig sprachlich und zwischenmenschlich suggeriert wird!
Hier kommt das entscheiden Machtinstrument des Jobcenters ins Spiel. Falls klar wird, dass du nie vorhattest die EGV zu unterschreiben oder du dich zulange gesträubt hast, kann das Jobcenter die EGV als Verwaltungsakt erlassen.
Ein Verwaltungsakt ist dann kein Vertrag mehr, er kann einseitig vom Jobcenter beschlossen werden. Zwar hast du dann einen Monat Zeit (Achtung, Frist beachten!) um Widerspruch einzulegen, aber auch dies ist schwierig. Du musst/solltest dann erklären, warum du die EGV bisher nicht unterschrieben hast. Auch eine fehlende Rechtsbehelfserklärung vom Jobcenter kann ein Grund für den Widerspruch sein.
Dennoch bleibt dieser Ansatz für dich persönlich schwierig, da du Einschränkungen und Erlasse erst einmal hinnehmen musst, auch wenn du aktiv Widerspruch eingelegt hast. Gegebenenfalls musst du also Nachts Regale zum Mindestlohn einräumen, auch wenn du gelernte Köchin bist, bis ein Sozialgericht dir Recht gibt bzw. nicht recht gibt.
Für die meisten Menschen scheint uns folgender Weg am sinnvollsten zu sein:
1.) Zeugen!
Geht nie alleine zu einem Termin mit dem Jobcenter, nehmt euch emotionale Unterstützung mit (Freunde, Familie, Anwält*in etc.) die euch vor Ort unterstützen kann und bietet euch selbst als Unterstützung an, wenn ihr von Bekannten hört die einen Termin beim Jobcenter haben! Dies führt meist dazu, dass das Jobcenter die Regeln sehr viel korrekter befolgt und wenn es hart auf hart kommt habt ihr vor Gericht eine*n Zeugen für eure Angaben. Jeder hat das Recht auf eine Begleitung durch eine weitere Person, nutzt dieses Recht! Im Idealfall kann deine Begleitung sogar einen Anzug tragen, stellt sich als Juraprofessor der Universität Sowieso vor und macht sich während dem Gespräch (reale oder gefakte) Notizen. Der Schein bestimmt das Bewusstsein! Rechnet allerdings damit, dass der*die Sachbearbeiter*in ihrerseits auch einen Zeugen mit zum Gespräch nimmt (häufig vermeintliche Vorgesetzte die angeblich vor Ort sind um die Sachbearbeiter*in zu prüfen – de facto aber vor Gericht als Zeugen im Sinne des Jobcenters aussagen können.), wenn ihr dieses Recht konsequent umsetzt und immer eine*n Zeug*in mitnehmt. Dennoch ist dies wichtig und richtig! Gerade Menschen, welche Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben, generell leicht zu verunsichern sind oder einfach nur Angst haben sollten unbedingt eine*n Zeug*in mitnehmen! Notfalls können euch auch Mitglieder der FAU Heidelberg zu Terminen begleiten, sofern diese vor Ort sind!
2.) Nichts sofort unterschreiben!
Egal was euch vorgelegt wird: unterschreibt nichts vor Ort. Vermutlich seid ihr nervös, vielleicht habt ihr Existenzsorgen und die Person vom Jobcenter wirkt so freundlich… dennoch gilt: Nichts wird vor Ort unterschrieben! Besteht darauf es von eurem vermeintlichem oder realem Anwalt oder Anwältin gegen lesen zu lassen, holt euch dann Rat von Freunden oder Menschen die schon Mal in ähnlichen Situationen waren, auch gerne bei uns, der Basisgewerkschaft Heidelberg. Besteht auf Bedenkzeit oder argumentiert mit Kopfschmerzen: alles kann mitgenommen werden und i.d.R. zum nächsten Gespräch mitgebracht oder per Post wieder zurückgesandt werden.
3.) Vermeidet den Verwaltungsakt aber reizt die Verhandlungen zur EGV aus!
Das Ziel sollte es sein, einen einseitigen Erlass der Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt zu vermeiden. Das lässt euch aber genug Spielraum um die Vertragsbedingungen der EGV massiv auszureizen:
- Solange ihr verhandelt, muss das Jobcenter dein Hartz4 zahlen, ohne das du schon arbeiten musst – was alleine schon motivieren sollte, möglichst lange zu verhandeln.
- Überlege dir, was du persönlich für dich in den Verhandlungen durchsetzten kannst und willst; sei es für dich privat, oder auch für dich beruflich. Dies umfasst zum Beispiel Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen (Sprachkurse, IT-Kurse, Führerschein(e), Schlüsselqualifikationen, teure Fortbildungen für eure angestrebte Karriere etc.). Natürlich müsst ihr hier auf eine gewisse Logik achten. Aber auch ein Wurstfachverkäufer kann argumentieren, dass englische Sprachkompetenz seinen Wert auf den Arbeitsmarkt steigert. Ob ihr das für euren Urlaub, eure Bildung oder euren Job wollt, muss das Jobcenter nie erfahren. Bleibt kreativ und probiert es einfach! Mehr als es ablehnen können sie nicht!
- Diese Verhandlungen können sich hinziehen! Es gib keine Fristen hierfür! Wichtig ist, dass das Jobcenter den Eindruck behält, dass ihr aktiv und sinnvoll verhandelt.
- Bedenkt auch andere Aspekte eures Lebens in den Verhandlungen. Die Betreuung von Kindern im Haushalt ist zum Beispiel ein guter Grund um Ansprüche des Jobcenters massiv nach unten zu fahren und z.B. nur 5-10 Bewerbungen pro Monat zu schreiben.
- Schließe explizit Arbeitsformen, Bereiche oder Branchen in denen du nicht arbeiten möchtest, die aber eventuell mit deinem/deinen bisherigen Beruf/en in Zusammenhang stehen aus: Wenn du Automechaniker bist und nichts an Fahrrädern schrauben willst,weil du Fahrräder hasst, dann verhandle so lange, bis dies in deiner EGV steht.
4.) Ausnahmen und Sonderregelungen
Achte darauf, ob in deiner Situation Sonderregeln gelten könnten. (So zum Beispiel bei Alleinerziehenden, Aufstockern, Selbstständigen, Schülern, Lebenspartner*in mit Hartz4, Minijobeinkommen unterhalb der Hartz4-Grenze, Notwendigkeit einer Nachbetreuung, z.B. wegen psychischen Problemen aufgrund der Arbeitslosigkeit).
Diese Sonderregeln sind komplex und zahlreich. Vielfach findet man dazu Beratung im Internet, ggf. sollte hier aber auch ein*e Arbeitsrecht-Fachanwält*in hinzugezogen werden. Achte dabei darauf, ob du ggf. die Bedingungen für die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG) erfüllst, so dass dich diese Rechtsberatung nicht mehr als 15€ kosten darf.
Wenn dir diese Informationen nützen oder geholfen haben, wenn du dich an uns als Basisgewerkschaft wendest, wenn sich andere Menschen bereit erklären mit dir als Zeuge zu deinem Termin beim Jobcenter zu gehen – dann teile diese Solidarität und arbeite zusammen mit uns an einer besseren, solidarischen und gerechteren Welt in dem du das gewonnene Wissen unter Freunde und Bekannte bringst, Mitglied bei uns wirst und so anderen Ausgebeuteten hilfst oder mit Bekannten und Freunden zu ihren Terminen gehst! Solidarität ist unser Waffe, Angst ist die Ihre!