Die vergangenen Tage richtete sich unser Blick in nervöser Anspannung, wie herzlicher Solidarität gen NRW, genauer Lützherath. Ein kleines Dörfchen inmitten des rheinischen Braunkohleabbaugebietes. Viel näher kann man einer Kohlegrube gar nicht sein, ohne schon mitten in ihr zu stehen. Und genau das haben der Energiekonzern RWE, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, ja sogar der Grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck, für den kleinen Ort im Sinn – mitten in der täglich wachsenden, sich durch die Landschaft fressenden Kohlegrube zu verschwinden. Dagegen setzten sich seit Jahren Klimaaktivist*innen zur wehr, die den kleinen gezwungenermaßen verlassenen Ort besetzt halten und so mit neuem, widerständigen Leben füllten. Doch in der vergangenen Woche begann die Räumung durch ein Großaufgebot an Polizeikräften. Ein paar Hundert Klimaaktivit*innen verteidigten Lützerath mit Kreativität und gutem Willen, jeder Menge Mut und gegenseitiger Hilfe, Kletterkünsten und Direkter Aktion, und vor allem unter Einsatz ihrer bloßen Körper und machten damit diesen unscheinbaren Ort im Westen Deutschlands zum Kristallisationspunkt eines zukunftsweisenden Konfliktes. Eines Konfliktes der sich seit Jahren zuspitzt und dessen Ausgang – folgt man der überwiegendenden Mehrheit wissenschaftlicher Prognosen – darüber entscheiden wird, wie katastrophal die Klimawandel bedingten Veränderungen auf unserem Planeten ausfallen werden. Besagter Konflikt lässt sich runterbrechen auf eine einfache Frage: Retten wir die Wirtschaftsweise der vergangenen 100 Jahre in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts, und mit ihr die Profite für Wenige, bei massiven Belastungen für die Meisten? Oder retten wir das, was sich in der nicht mehr aufzuhaltenden Klimakatastrophe noch retten, sprich an Klimagasen, an Erderwärmung, an kippenden Kipppunkten, abfedern lässt? Die Grünen Verantwortungsträger*innen, voll und ganz im realpolitischen Regierungsbetrieb aufgegangen, stehen für Ersteres, wenngleich sie nicht müde werden zu behaupten vor allem um Zweites bemüht zu sein. Kompromisse müssen halt gemacht werden. Und ein Kohleausstieg 2030, der nicht taugt das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens zu gewährleisten, ist doch immer noch besser als ein Kohleausstieg 2038 der ja noch weniger dazu taugt, die 1,5 Grad Grenze einzuhalten, oder nicht? Eine bestechende Logik, die vermutlich nur Menschen in Regierungsämtern einleuchtet. Lieber russisch Roulett mit einer Pistole mit vollen Munitionskammern, als russisch Roulett mit zwei Pistolen mit vollen Munitionskammern. Es stimmt natürlich, der globale Kampf um Klimagerechtigkeit wird sich nicht allein an Lützerath entscheiden. Übrigens aber auch nicht Wohl und Wehe der bundesdeutschen Energieversorgungssicherheit, oder die Zukunft der regionalen Arbeits- und Sozialstrukturen an Rhein und Ruhr, nur um das an dieser Stelle den Wortfüher*innen klassischer Gegenargumente und wortreicher Scheindebatten zu entgegnen. Weder droht Deutschland ein Blackout, wenn die Kohle bei Lützherath, wie zurecht gefordert, unter der Erde bleibt. Noch ließe sich mit den zusätzlchen Tonnen Kohle eine zukunftstaugliche Perspektive für gute und nachhaltige Arbeit verwirklichen. Überhaupt, gilt es Arbeits- und Wirtschaftsbilder, welche auf Raubbau an Natur und sozialer Infrastruktur einerseits, und andererseits auf großen Profiten für Wenige fußen, kritisch in Frage zu stellen. Arbeit darf nicht als bloße Worthülse zum Totschlagargument verkommen. Es geht nicht um Arbeit alleine, sondern immer auch darum welche Arbeit, unter welchen Umständen. Menschen brauchen nicht einfach irgendeine Lohnarbeit, sondern eine sinnstiftende Tätigkeit, eingebettet in einen intakten Lebensraum, und unter fairen Bedingungen. Dafür gilt es gemeinsam mit der Klimagerechtigkeitsbewegung zu streiten. Und das lieber früher, als später. Entsprechend trifft es zu, dass der aktuelle Konfliktpunkt in NRW eine letzte Haltelinie aufzeigt, wie es von den widerständigen Klimaaktivist*innen vor Ort immer wieder bekräftigt wurde. Zum einen, weil Deutschland mit der Verfeuerung der geplanten Kohlemengen seine eigenen Klimaschutzziele nicht wird einhalten können. Zum anderen, weil sich auf besorgniserregende Weise aufzeigt, auf welcher Seite der Konfliktlienie sich grüne Parteiführungs-und Regierungsmitglieder verorten. Sie haben entgegen ihrer, bisweilen fast schon ans Mythische erinnernden Verwurzelung in Umwelt- und Protestbewegungen, keinerlei Probleme, mit den gleichen Nebelkerzen, ökologisch und sozial katastrophale Entscheidungen zu verteidigen, wie es CDU und SPD Funktionäre nicht besser könnten. Eigentumsrechte. Gerichtsurteil. Demokratische Entscheidung. Ein Deal ist ein Deal. Mehr Etablishment geht nicht. Soll die halbe Welt doch in den Abgrund stürzen, aber Regeln sind immer noch Regeln. Und diese gilt es eben durchzusetzen, auch mit der geballten Staatsmacht in Form von dutzenden Polizeihundertschaften aus dem gesamten Bundesgebiet. Der Hambacher Forst hat es angekündigt, Lützerath ist Siegel und Stempel auf dem Ganzen. Die Räumung der Düsseldorfer Parteizentrale, inklusive Strafanzeigen, sozusagen das Sahnehäubchen. Der gesamten Fridays-for-Future-Generation sei es in kritischer Solidarität ins Poesiealbum geschrieben: Mit dieser Partei ist kein seriöser Klimaschutz im Sinne einer klimagerechten Zukunft zu machen. Regierungsmacht wird im Zweifelsfall immer vorgehen, egal welche Farbe das Parteibuch hat. Entsprechend dürfen sich all jene, die sich der Dramatik einer fortgesetzten fossilen Kapitalismus bewusst sind, nicht mehr von den leeren Versprechungen einer Partei vereinnahmen lassen, die es ernsthaft fertigbringt sich für einen 23 Jahre andauernden Atomausstieg zu feiern. Hoffen wir, dass sich die Geschichte beim Kohleausstieg nicht als Farce wiederholen wird. Und hoffen wir dies nicht nur, sondern kämpfen wir dafür – entschlossen und gemeinsam! Unsere Solidarität gehört allen Menschen die in Lützerath und anderswo, dem kapitalistischen Normalbetrieb etwas entgegensetzen, und sei es der eigene Körper, bei Wind und Wetter, auf kaltem Asphalt, in windigen Höhen, verschanzt unter der Erde, oder in der Trostlosigkeit einer Parteizentrale einer ehemaligen Umweltpartei. Lützi bleibt! Let’s make system change, not climate change! Kapitalismus in die Tonne!