Die Gründung von Gewerkschaften und das Betreiben gewerkschaftlicher Aktivitäten zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Arbeitnehmer*innen, ist in Artikel 9 des Grundgesetzes ausdrücklich geschützt – auch bekannt als Koalitionsfreiheit oder Koalitionsrecht. Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, diese Koalitionsfreiheit einzuschränken, oder gar zu verhindern, sind rechtswidrig – so das Grundgesetz weiter.
Zum 01. Mai 2024 forderten gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter*innen der Süd-West-Archäologie (SWA) die Geschäftsführung zur Verhandlung eines Haustarifvertrages auf. Einen eigens ausgearbeiteten Entwurf eines solches Vertrages fügten die Kolleg*innen ihrem Aufruf zu Verhandlungen gleich anbei. Vertreten sollten die organisierten Mitarbeiter*innen von der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter*innen Union (FAU) Heidelberg werden, welche zahlreiche Mitglieder in der SWA aufzubieten hatte. Die FAU-Heidelberg hat einen der von der Belegschaft gewählten Repräsentant*innen und Mitglied der Tarifkomission bevollmächtigt, die Verhandlungsaufforderung im Namen der Belegschaft und der FAU an die Geschäftsführung zu übermitteln.
Am Montag, den 13.Mai teilte die Geschäftsführung der SWA allen Mitarbeitenden in einem kollektiven Schreiben mit, dass sie gerne einzelnen Punkten nachkommen würde, aber eine Verhandlung und einen Haustarifvertrag generell – und explizit eine Verhandlungsaufnahme mit der FAU rigoros ablehnen würde. Die Gewerkschaft selbst, immerhin gewählte Vertretung der Mitarbeiter*innen, wurde von der Geschäftsführung erst gar nicht kontaktiert.
Am 20.Mai reagierte die Belegschaft mit einer Bekräftigung ihrer Forderungen und einem erneuten Aufruf zu Verhandlungen. Doch auch dieses Mal ließ die Geschäftsführung, die von den Mitarbeiter*innen genannte Frist verstreichen, ohne Verhandlungstermine vorgeschlagen zu haben. Zwei Wochen später hat sowohl die Belegschaft als auch das allgemeine Sekretariat der FAU-Heidelberg eine Warnung ausgesprochen, dass ein Versäumnis der Verhandlung zu Arbeitskampfmaßnahmen führen würde.
Es folgte am 20. Juni nochmals eine kollektive Nachricht der Geschäftsführung an alle Mitarbeitenden, in welcher Verhandlungen mit der FAU und ein Haustarifvertrag abermals generell abgelehnt wurden. Die Geschäftsleitung hat dabei erklärt, “keine Mitarbeiter, die andere Mitarbeiter zum Streik aufwiegeln und die Firma spalten”, im Betrieb haben zu wollen. Stattdessen wurde zu einer Gesamtbelegschaftsbesprechung eingeladen, wo die Anliegen der Belegschaft diskutiert werden sollten, jedoch nur “mit Angestellten der Firma SWA und nicht mit Vertretern der FAU”. Die Belegschaft und die FAU Heidelberg haben dies trotzdem als den ersten Verhandlungstermin ausgelegt und deshalb keine Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet.
Am 24.06.2024, exakt einen Tag vor besagter Gesamtbelegschaftsbesprechung, erreichten die Geschehnisse schließlich ihren vorläufigen Höhepunkt, als jener langjähriger Mitarbeiter, gewählter Repräsentant der Belegschaft und Mitglied der Tarifkomission, welcher die Verhandlungsaufforderung übermittelte, seine Kündigung erhalten hat, welche die Geschäftsführer der SWA ohne die Nennung von Gründen am 21.6 ausgesprochen hatten. Weiter stellten sie ihn unwiderruflich von der Arbeit frei.
Im Anlauf zur Besprechung wurde das Büro von SWA gesperrt, die Schlösser gewechselt und als das gekündigte und explizit ausgeladene FAU-Mitglied versuchte, teilzunehmen, diesem ein Hausverbot erteilt. Weite Teile der Belegschaft solidarisierten sich mit dem geschassten Mitarbeiter und verließen aus Protest die Besprechung gleich nach ihrem Beginn. Verbleibende Kolleg*innen berichteten vom fehlen jeder Verhandlungs -und Kompromissbereitschaft seitens der Geschäftsführer der SWA, sondern eine weitere ultimative Ankündigung der “Maßnahmen”, die die Geschäftsführer bereit wären zu ergreifen, um die Anliegen der Belegschaft zu stillen, welche jedoch nur einen sehr kleinen Bruchteil der Forderungen des Haustarifvertrags deckten.
In den folgenden Wochen kündigten fünf der Beschäftigten ihren Arbeitsvertrag bei SWA, womit der angestrebte Arbeitskampf sein Ende gefunden hat. Weitere 18 Kolleg*innen, so heißt es aus internen Quellen, suchen ebenfalls nach neuen Arbeitgeber*innen. Dennoch waren selbst die dürftigen und auf lange Frist ausgelegten “Maßnahmen” der Arbeitgeber, trotz des ansonsten recht ernüchternden Ergebnisses des Arbeitskampfes, ein erkämpfter Erfolg der Belegschaft, der ohne diese kollektive Organisierung nie zustande gekommen wäre. Die SWA hat während dieses Jahres einen massiven Auftragsrückgang erleidet, welchen die Angestellten ebenfalls mit den Arbeitsbedingungen erklären, die die Angestellten mittels des am Ende gescheiterten Tarifvertrags versucht haben zu verbessern und die Firma zukunftsfähig zu machen. Die Zeit wird zeigen ob die “Maßnahmen” der Arbeitgeber ausreichen werden.
Das gekündigte FAU-Mitglied hat sich selbstverständlich umgehend juristisch gegen die Kündigung gewehrt und konnte schon in der Güteverhandlung eine Abfindung in Höhe von 5000 Euro gewinnen, nachdem das Hauptargument der Arbeitgeber, nämlich eine betriebsbedingte Kündigung mit ordnungsgemäßer Sozialauswahl vom Gericht als nicht nachvollziehbar abgewiesen wurde. Weitere oder größere Diskussionen waren dabei nicht notwendig. Der FAU-Heidelberg sind allerdings die Gründe klar.
Den Tarifvertrag selbst veröffentlichen wir hier als Inspiration für weitere Belegschaften der Branche und als rudimentären Grundstein für einen zukünftigen Flächentarif für die kommerzielle Archäologie in Baden-Württemberg und deutschlandweit.